Routenverlauf Teil I (Reinzoomen, damit Ihr die Städtenamen lesen könnt.)
1. Tag: von Moskau zum Ural (Kilometer 0 bis Kilometer 1.815)
Als wir am ersten Morgen aufwachten, hatte der Zug bereit ca. 500km zurückgelegt, wir befanden uns in der vollkommen ebenen Weite Russlands vor dem Ural, eine Gegend, die als „Kornkammer Russlands“ gilt. Klingt erstmal recht langweilig, war aber schön anzusehen, diese Weite.
Wir holten uns erstmal heißes Wasser für einen Kaffee aus dem Samowar, dann schauten wir uns erstmal etwas genauer um im Zug und machten uns mit den wichtigen Sachen wie Speisewagen, Dusche etc. vertraut und lernten unsere Nachbarn ein bißchen besser kennen. Schon bei den ersten Stops in Kirow, Balesino und wie sie alle hießen, bürgerte es sich ein, daß alle ausstiegen. Nicht daß die TransSib besonders beengt ist, aber wenn man 24h am Tag im Zug ist, freut man sich doch, wenn man sich mal die Beine vertreten kann. Zumal jeder noch so kleine und entlegene Bahnhof irgendeine „Attraktion“ hat: Ein schönes Bahnhofgebäude aus der Zarenzeit, eine alte Dampflok, niedliche alte Omis, die Pelmeni verkaufen, kaltes Bier, geräucherten Fisch.
„3,5 Tage non-stop im Zug? Ist das nicht total öde?“
Wie alle anderen auch hatten Juliane und ich die Befürchtung, daß wir uns unheimlich langweilen würden auf der TransSib. Deswegen hatten wir mehrere Bücher und jeder einen Ipod mitgenommen, um uns zu beschäftigen, wenn unterhalten nicht mehr reicht. Kurzum: Ich hab auf den 6,5 Tagen bis Irkutsk keine 100 Seiten in meinem Buch gelesen. Es gab einfach immer was zu sehen oder Leute, mit denen man sich unterhalten konnte. Den ganzen Tag standen wir auf dem Gang oder saßen in einem Abteil, quatschten und schauten uns die schöne Landschaft an, die draußen vor dem Fenster vorbeizog. Ich hatte die Befürchtung, daß die TransSib die meiste Zeit in einer Schneise durch Birkenwälder führt und man nicht viel sieht. Glücklicherweise kam es ander: Der erste Teil bis zum Ural ist sicher nicht spektakulär, wie gesagt: große weite Agrarflächen. Aber dazwischen immer wieder malerische (und zugegebenermaßen oft recht ärmlich wirkende) Holzhäuser, Flüsse, Seen und kleine Städtchen. Das alles in strahlendem Sonnenschein und verbunden mit dem Gefühl, sich schon oberhalb von Kasachstan zu befinden, ließ das Travellerherz schon höher schlagen. Und das war ja erst der „langweilige Teil“.
Am frühen Abend stießen dann Miguel (eigentlich Michael) und Daniel(e) zu uns, zwei Münchner, die unsere fränkischen Abteilnachbarn am Jaroslawer Bahnhof kennengelernt hatten, die 3 oder 4 Wagen weiter ihr Abteil hatten. NAchdem wir an einem Bahnhofskiosk („Produkti“) unsere Biervorräte aufgestockt hatten, saßen wir also zu siebt bei Helmut & Söhne im Abteil, ab und zu schaute einer der 5 Schweden vorbei. Da Miguel glücklicherweise kleine Boxen für seinen Ipod dabei hatte, hatten wir sogar Musik für die bunte Runde. Irgendwann am mittleren Abend zog draußen der Ural vorbei, ohne daß wir groß etwas sehen konnten. Aber viel verpaßt haben wir anscheinend ohnehin nicht, denn der Ural, den man sich als „Grenze zwischen Europa und Asien“ als mächtiges Gebirge vorstellt, ist in Wirklichkeit nur ein (immerhin recht langes) Mittelgebirge, ungefähr so wie der Harz. Kurz hinter dem Ural hält der Zug in Jekaterinburg (das zwischenzeitlich mal Swerdlowsk hieß), das im Westen vor allem dafür bekannt ist, daß hier die Zarenfamilie ermordet wurde. Hier kam auch zum ersten Mal unser Fensterputzer zum Einsatz, den auch alle anderen haben wollten!
2. Tag: Durch West-Sibirien bis Novosibirsk (Kilometer 3.343)
Als wir am nächsten Morgen aufwachten, waren wir schon richtig drin in Sibirien, genauer gesagt in der „Westsibirischen Tiefebene“, genau so platt wie der Teil vor dem Ural, aber schon deutlich „sibirischer“. Denn von Landwirtschaft war hier nicht mehr viel zu sehen, dafür aber umso mehr von den erwarteten/befürchteten Birkenwäldern, die sich aber als sehr hübschen anzusehend herausstellten. Alles war deutlich einsamer als am ersten Tag, dazu begann hier sichtbar der Permafrostboden, was dazu führt, daß eigentlich fast überall Wasser auf den malerischen Wiesen steht, da das ja nicht tief einsickern kann. Angeblich gibt es hier einen Abschnitt der TransSib, der sage und schreibe 600km schnurgeradeaus führt, das sagt einiges über die Gegend aus, finde ich. Bei allen Reisenden stellte sich das Gefühl ein, man hätte schon „richtig was geschafft“, immerhin hatten wir schon ungefähr 2.200 Kilometer der Strecke im Zug hinter uns gebracht (was aber noch nicht einmal Halbzeit bis Irkutsk ist).
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Mittags gaben wir dem Speisewagen nochmal eine Chance, die Schweden gesellten sich zu uns und wir kamen mit Slava (Viacheslav) und seinem Kumpel Dimitri ins „Gespräch“. Gespräch soll heißen, daß Slava auf Russisch auf uns einplauderte, ab und zu schallend lachte und uns auf die Schulter schlug. Wir hatten die beiden schon am Abend davor bemerkt, ihr Abteil war im selben Wagen wie unseres. Mit ihnen im Abteil fuhren Dimitris Frau und deren Mutter, eine ältere Dame in Kittelschürze mit wahrlich Haaren auf den Zähnen.
Vielleicht war es ihretwegen, vielleicht war es aus Langeweile, aber Slavas und Dimitris Tage sahen so aus: Ab ca. 9.30 Uhr tranken die beiden ein Bier nach dem anderen, am Nachmittag stiegen sie auf Wodka um, um dann gegen 19.00 Uhr im Gang angelehnt schlafen zu versuchen. Natürlich konnte das der Ehefrau und Schwiegermutter nicht gefallen, was am ersten Abend zu einer lautstarken Schimpfkanonade der Schwiegermutter gegen Dimitri führte, den es danach noch weniger in sein Abteil zu ziehen schien. Ganz ehrlich, beide sahen aus wie Verbrecher (ich kenn´mich da aus!), zumindest Slava war aber ein guter Kerl, hilfsbereit und freundlich. Slava hat mir zum Beispiel gezeigt, wo im Zug die Dusche zu finden ist und für mich mit der Prowodnitza verhandelt. Sein Häkel-T-Shirt mit Glitzerapplikationen wird uns in ewiger Erinnerung bleiben :-)
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Die „Reisegruppe Badabinsk“ oder „Rockin´ and Rollin´ thru Siberia with Bob Dylan“
Am Abend des 2. Tages (also unsere 3. Nacht im Zug) kannten sich offenbar alle Beteiligten gut genug, um mal bißchen aus sich herauszugehen. Es begann alles ganz harmlos damit, daß der Baikal Express in einem Nest namens Barabinsk (Kilometer 3035 ab Moskau, irgendwo vor Novosibirsk) hielt. Barabinsks berühmte Spezialität schien geräuchter Fisch zu sein, denn überall standen Babuschkas herum, die solchen feilboten. Und viele russische Passagiere kauften welchen. Bizarrerweise wurde der Räucherfisch aber nicht in Zeitung oder Tüten verpackt, sondern einfach so übergeben. Der Anblick von ein paar Dutzend Russen in ihren Jogginganzügen, die jeweils ein oder zwei nackte Fische in den Händen hielten, war schon echt kurios. Wir ließen den Fisch aus und gönnten uns ein Feierabendbier am Bahnsteigkiosk. Ebenso die Schweden, die Franken und die Münchner. Der Zug hielt in Barabinsk relativ lange, wir blödelten rum und ich kreierte für unsere Truppe den Namen „Reisegruppe Badabinsk“ (mit „d“ klang es lustiger). Der Name gefiel und blieb haften.
Zurück im Zug setzen wir uns alle sieben zu den Franken ins Abteil und jeder packte seine Mitbringsel aus. Nun ist es so: Wir waren in Russland, fuhren mit der TransSib, da gehört Wodka einfach dazu. Also hatte wirklich _jeder_ aus der Reisegruppe Badabinsk vor Fahrtantritt wenigstens eine kleine Flasche Wodka gekauft. Wodka schmeckt aber auf Zimmertemperatur schrecklich, so daß jeder versuchte, seinen Wodka bei den anderen loszuwerden. Immer wieder wurden die roten Plastiktassen der Franken rumgereicht, das Zeug wollte kaum weniger werden. Musik aus Miguels Boxen, kaltes Bier taten ihr übriges zur Beschleunigung der Lage. Irgendwann testeten wir mit meiner Kamera die Infrarotsteuerung von Miguels Blitz, so daß ständig aus den unterschiedlichsten Richtungen Blitze durchs Abteil zuckten. Na ja, leise war es nicht gerade, also zogen wir später am Abend in den Speisewagen um. Dort stießen noch die beiden Schotten Louise und Phil (mit ihrem geheimein Single Malt) sowie zwei Kanadier (mit einem Satellitentelefon für´s Business!) zu uns. Der Speisewagen war eigentlich schon geschlossen, aber die gut gelaunte Menge Touris versprach Umsatz, so daß ein einsamer Herr abgestellt wurde, der uns weiterhin Getränke verkaufen sollte.
Emil, einer der Schweden, hatte eine Ukulele dabei, konnte passabel spielen und hatte ein dickes Songbook. Also wurde ein Gassenhauer nach dem anderen rausgesucht und begeistert von der gesamten Reisegruppe Badabinsk & Co. angestimmt. In (un)guter Erinnerung ist vor allem „Knockin´ on Heaven´s Door“ (stimmlich in der Guns´n´Roses-Version) geblieben. Richtig nüchtern war zu diesem Zeitpunkt keiner mehr, das merkwürdige „Western-Ambiente“ im Speisewagen, die grellbunten Tischdecken mit Obstdeko taten ihr übriges. Ein ganz, ganz grandioser Abend!
Irgendwann brach auf einmal Hektik aus, denn der Zug rollte in Nowosibirsk ein! Nicht, daß wir von dem Großstadt-Bahnhof groß was erwarteten, aber die komplette Reisegruppe stürzte begeistert nach draußen, zahllose Gruppenfotos auf dem Bahnsteig folgten. Die Uhren dort zeigten natürlich – wie überall auf der TransSib – Moskauer Zeit an, dort war 22.45 Uhr angegeben, in Wahrheit/vor Ort aber 1.45 Uhr. Also: Nach einem Absacker im Speisewagen ging´s dann ab in die Kojen.
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3. Tag/4. Nacht, durch Westsibirien über Krasnojarsk (Km 4.041) nach Irkutsk (Km 5.206)
Wie zu erwarten, erwachten wir alle mit einem leichten Schädel. Auch draußen vor dem Fenster war die Landschaft ein bißchen „benebelt“ und grau, was sehr schade war, denn endlich wurde die Gegend mal etwas hügeliger und bewaldeter. Die Frequenz an kleinen Ortschaften, die fast ausschließlich aus hübschen Holzhäusern bestanden, nahm zu. Trotz des eher grauen Wetters standen wir fast den ganzen Tag auf dem Gang und schauten aus dem Fenster, es gab eigentlich immer was zu bestaunen. Z.B. den Jenissei, einen Fluss, den in im Rest der Welt kaum einer kennt, der aber mit 4.092km Länge zu den längsten Flüssen der Welt gehört. In dieser Liga gibt es einige Flüsse in Sibirien, von den meisten hatte ich vor dieser Reise noch nie etwas gehört. Als da wären z.B.: Der Irtysch (4.248km lang), den wir bei Omsk überquerten, der Ob (3.650km lang) bei Novosibirsk, die Lena (4.400km lang), die nördlich von Irkutsk entspringt und die Angara (3500km lang), die den Baikalsee entwässert und an der Irkutsk liegt.
Gegen Mittag erreichten wir Krasnojarsk (Kilometer 4.041), eine der größeren Städte in Sibirien, in Deutschland neuerdings bekannt als Geburtsort von Schlagersternchen Helene Fischer. Dort hatte der Zug, wie in allen größeren Städten, einen längeren Aufenthalt, ca. 30min. Aber dennoch traut man sich nie wirklich, sich vom Zug zu entfernen, es wird nämlich nicht gepfiffen oder sonst irgendwie auf die Abfahrt hingewiesen. Also konnten wir das prachtvolle Bahnhofsgebäude von Krasnojarsk nur aus der Ferne ansehen. Sowohl bei der Einfahrt als auch beim Rausfahren aus Krasnojarsk gab es eine Menge post-sowjetischen Lokalkolorit zu bewundern: Verfallene und intakte Industriekomplexe, wild wuchernde Shoppingzentren, graue Backstein-Wohnsilos usw.
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Der letzte Abend im Zug verlief dann natürgemäß etwas ruhiger als der 3., noch einmal schlafen, dann würden wir nach 5.206km Irkutsk erreichen. 3,5 Tage Zugfahrt sollten hinter uns liegen, aber ganz ehrlich: ALLE waren ein bißchen traurig, daß die Zugfahrt „schon vorbei“ sein würde. Es hat bis hierhin einfach riesig Spaß gemacht, nicht nur, aber vor allem auch wegen der Leute, mit denen wir diese Erfahrung teilen konnten.
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