I. Einreise nach Russland
Nach ca. 200km auf sehr gut ausgebauter und relativ langweiliger finnischer Autobahn kamen wir an die finnisch-russische Grenze. Auf der Seite des EU-Lands Finnland ging die Abfertigung naturgemäß sehr schnell, wir waren gespannt, wie es bei den Russen so werden würde. Wie immer als Motorradfahrer fuhren wir an der langen Autoschlange vorbei bis zum ersten Schlagbaum. Dort gab uns ein Milizionär sofort zu verstehen, wir könnten durchfahren bis zur Abfertigung. Dort parkten wir neben der Autoschlange und stellten uns brav im Kontrollhaus an. Was wiederum unnötig war, denn die Schlange war nur für Einreisen _ohne_ eigenes Fahrzeug. Also draußen wieder zu den Schaltern, wo aber schon Dutzende, wild gestikulierende Leute mit den Grenzern diskutierten. Das klang nach Spaß. Die Frage nach einer Immigration Card auf Englisch wurde verneint, die waren leider grad aus und eine neue auszudrucken war auch nicht möglich. Service-Wüste Russland! :-).
Der Grenzer zeigte uns unwirsch, daß ein Musterbogen auf Englisch draußen am Abfertigungsschalter direkt neben dem kyrillischen Pendant hing, den sollten wir zum Abgleich nehmen. Aber nach kurzer Zeit besann er sich eines besseren, ließ alle anderen vor dem Fenster stehen, um zu uns rauszukommen und uns bei jedem einzelnen Punkt zu zeigen, was wir ankreuzen sollten. Nett! Da er selbst dann die eigentliche Abfertigung am Fenster vornehmen würde, waren wir „auf der sicheren Seite“, denn den Papierkram hatte er ja sozusagen selbst erledigt. Ab da ging alles sehr schnell, ich hab noch mit dem weit rausstehenden Motorradkoffer beim Vorbeischieben den Außenspiegel eines Mazdas mit kasachischem Kennzeichen leicht beschädigt, das störte den Besitzer aber nicht. Und dann waren wir drin in Russland. Viele potentielle Reisende werden von üblen Geschichten über die Einreise nach Russland abgeschreckt, ich habe auf keiner meiner bislang drei Reisen irgendwelche Probleme gehabt, bei dieser hier war die Hürde wegen des Motorrads sicher noch ein wenig höher, aber auch hier hat letztlich alles recht problemlos geklappt.
Direkt nach der Grenze änderte sich alles und man war schon mittendrin in Russland. Denn die Straßenqualität wurde schlagartig deutlich rauer und keine 500m nach dem russischen Schlagbaum saßen Dutzende von russischen „Mütterchen“ mit Kopftüchern an der Landstraße und boten in Körben Pilze, Beeren und Früchte an, die wohl in den meisten Fällen direkt im Wald hinter ihnen gesammelt worden waren.
In Vyborg, der ersten größeren Stadt auf russicher Seite machten wir kurz Station an der alten Festungsanlage im Zentrum. Hier konnte man deutlich sehen, daß dieser Teil lange von Schweden beherrscht war, die Altstadt sah ganz und gar nicht nach Russland aus, sondern erinnerte an Städte wie Visby. Die sowjetische Architektur, mit der man Lücken gefüllt hatte, war natürlich auch unverkennbar. Bei Vyborg mußte man wirklich sagen, daß die Stadt in desolatem Zustand ist….aber das war ja für uns Teil des Appeals von Russland Auch konnte ich mich über ein Wiedersehen mit den guten, alten PECTOPAH-Schildern freuen (was sich schön „lateinisch“ aussprechen läßt, aber eigentlich „Restoran“ heißt, alter running Gag von der TransSib).
II. Sankt Petersburg
Die Ankunft in Sankt Petersburg gestaltete sich dann gleich mal recht spannend. Bisher waren wir nur Landstraße gefahren, die 5-Millionen-Stadt Sankt Petersburg begrüßte uns mit einem dichten System von Ringautobahnen, die überwiegend Kyrillisch ausgeschildert waren. Am Stadtrand sah man zunächst riesige Komplexe von Plattenbauten, die dann von Luxus-Appartmenthochhäusern abgelöst wurden, bevor man ins historische Petersburg kommt. Mit meinen rudimentären Sprachkenntnissen konnte ich immerhin die grobe Richtung zum „Zentrum“ ausmachen. Nur ist das Zentrum von Sankt Petersburg einfach riesengroß und zudem über einige Inseln verteilt, die teilweise vom Verkehr verstopft waren. Trotz unserer Stadtkarte hatten wir Schwierigkeiten, zum zentralen Nevsky Prospekt zu finden. Aber auf die internationale Solidarität von Mopped-Fahrern war Verlaß: Als wir einen Passanten nach dem Weg fragten, hielt ein junger Mann auf einer Honda CBR, der uns in gutem Englisch fragte, ob er uns helfen könnte. Er bot uns dann netterweise an, uns zu unserem Hostel zu geleiten und gab uns noch seine Telefonnummer für alle Fälle.
Als Unterkunft hatten wir aus dem Lonely Planet für Osteuropa ein Hostel rausgesucht, weil „richtige“ Hotels in Sankt Petersburg entweder weit ab vom Schuss lagen oder extrem teuer waren. Auch das Hostel schlug mit rund 70 Euro für ein simpel ausgestattetes Doppelzimmer zubuche. Lange war ich nicht mehr in einem wirklichen Hostel, in dem man die Schuhe ausziehen mußte, es Gemeinschaftsduschen und eine Gemeinschaftsküche gab. Aber die Athmosphäre war freundlich und die Lage unschlagbar. Da es in der Nähe – entgegen unseren Erwartungen – keinen bewachten Parkplatz für die Motorräder gab, stellte ich meins einigermaßen versteckt im Innenhof ab, Götz parkte seins direkt vor der Tür auf dem Gehweg und sicherte es mit einem dünnen Kabelschloß.
Am ersten Abend erkundeten wir die nähere Umgebung, also den Nevsky Prospekt, und bogen an den vielen Kanälen immer wieder mal in Richtung eines Palasts oder einer Kirche ab. Ich kann mich kurz fassen: Sankt Petersburg ist eine der schönsten Städte, die ich je gesehen habe. Die komplette Innenstadt gehört zum UNESCO Weltkulturerbe und so sieht es da auch aus! Im Zentrum, das wie gesagt SEHR groß ist, gibt es so gut wie keine Neubauten, die komplette Bebauung besteht aus Palais irgendwelcher Aristokraten, großbürgerlichen Häusern und pompösen Verwaltungsgebäuden oder Museen aus der Zarenzeit. Die allermeisten sind in den vergangenen 20 Jahren mal saniert worden. Dazwischen ist viel Wasser, die Neva teilt sich in mehrere Arme, von denen dann wiederum viele kleine Kanäle abgehen. Ein bißchen erinnert das an das Zentrum von Stockholm, nur eben alles viel größer und pompöser. Auf dem Nevsky Prospekt zeigt sich Russland auch von seiner ganz speziellen Seite: Die Leute heizen wie die Geisteskranken! Vorzugsweise in Limousinen oder SUVs mit getönten Scheiben. Hier gilt man noch was mit lautem Auspuff! Ohne Übertreibung, Spurteinlagen mit 100+ km/h sind hier keine Seltenheit. Wer will, soll mal „Driving in Russia“ bei YouTube eingeben oder DAS VIDEO HIER anklicken, unser Lieblingsvideo zur Vorbereitung auf die Tour.
Den zweiten Tag in Sankt Petersburg haben wir zu unserer Schande ein wenig verschlafen, so dass es schon zu spät für einen Besuch der Eremitage war, aber zumindest hatten wir das Zaren-Ensemble am Ende des Nevsky Prospekts am Neva-Ufer schonmal von außen bewundern können. Auf der gegenüberliegenden Neva-Seite schauten wir uns die Festund Peter und Paul an, von der aus Sankt Petersburg entworfen und gebaut wurde. Auf der Inselfestung findet man neben einem Gefängnis, das von den unterschiedlichen Regimen als VIP-Gefängnis genutzt wurde, auch die Peter und Paul Kathedrale, die seit dem 18. Jahrhundert als Grabstätte der Zaren dient. Auf dem Weg dorthin sahen wir – wie immer im Sommer in russischen Städten – unzählige Hochzeitsgesellschaften, die sich vor pittoreskem Hintergrund ablichten ließen, während die Gäste schonmal den einen oder anderen Wodka aus Pappbechern kippte. Zum Abschluss des langen Rundgangs fanden wir beim Einsetzen des Regens in einem Straßencafé Unterschlupf, was wegen der Karaoke-Beschallung von zwei wirklich (!) guten Sängern am hellichten Tag leicht schräg war.
Da wir schon am ersten Abend Schwierigkeiten hatten, irgendeinen Laden zu finden, in dem man einfach nur ein Bier trinken konnte, fragten wir bei dem freundlichen Motorradfahrer vom Vortag telefonisch nach und ließen uns von der Rezeptionistin im Hostel den Weg zu der Location beschreiben. Auf irgendeiner Insel sollte dieses „Amüsierviertel mit jungen Leuten“ liegen. Nach längerer U-Bahn-Fahrt und noch längerem Fußmarsch kamen wir dann auf dieser Insel an. Tja, was die so unter Amüsierviertel verstehen: Das Ding war ein großer Kinderspielplatz in einem Park mit zwei Cafés drumherum. Die waren aber um 22.00 Uhr schon geschlossen. Wir hatten uns sowas wie Kreuzberg vorgestellt…aber immerhin hatten wir so mal ein Gebiet außerhalb des Zentrums gesehen. Mit Glück bekamen wir die letzte U-Bahn zurück und wunderten uns, daß in einer Großstadt wie dieser die U-Bahn schon um 23.00 Uhr dicht machte. Ein Irrtum, der sich am nächsten Tag klären sollte :-)
III. Eremitage
Auch am dritten Tag waren wir nicht wirklich früh auf den Beinen, aber heute war die Eremitage dran, komme was wolle! Glücklicherweise waren die sonst teilweise ewig langen Schlangen am Museumseingang sehr überschaubar. Die Eremitage, deren Hauptbestandteil der türkisfarbene Winterpalast ist, gilt als das größte Kunstmuseum der Welt. In fast 350 Sälen sind rund 60.000 Exponate zu sehen, weitere 3 Millionen lagern im Archiv. Der Winterpalast war die Hauptresidenz der Zarenfamilie, wurde aber schon damals gewissermaßen als „Familienmuseum“ im gleichen Haus genutzt, um Gästen die „kleine Kunst-Sammlung“ zu präsentieren. Man kann also sowohl die Privatgemächer und Repräsentationsräume der Zarenfamilie als auch das Museum in einem Gebäude besuchen. An Pracht ist der Winterpalast kaum zu überbieten! Die Sammlungen reichen von der Antike über mittelalterliche Kunst, Rennaisance, Barock bis hin zu Moderne, Impressionisten und Expressionisten. Man findet dort alles, was Rang und Namen hat: Von Rubens, Rembrandt, Cranach über Michelangelo, Tizian, Caravaggio und El Greco, Velazquez bis hin zu Matisse, Rodin, Renoir, Monét, Manet, van Gogh, Kandinsky, allein 31 Werke von Picasso besitzt die Eremitage. Dazu kommen riesige Sammlungen von Plastiken, Rüstungen, Goldschmiedearbeiten, Fabergé-Eiern (die wurden fast exklusiv für die russischen Aristokraten gebastelt), Münzen, Kleidung und und und. Man könnte sicher 3 Tage allein in der Eremitage verbringen und hätte nur einen groben Überblick.
Wir hatten aber nur 3,5 Stunden. Und das kam so: Wir hatten 5,5 Stunden bis zur Schließung eingeplant. Nach den besagten 3,5 Stunden wurde uns aber von den Aufpasserinnen bedeutet, wir sollten nun langsam Richtung Ausgang gehen. Unsere erstaunte Nachfrage, warum das Museum heute schon um 16.00 Uhr schließe, wurde mit Hinweis auf die Uhr quittiert. Auf der war es kurz vor 18.00 Uhr. Langsam dämmerte es uns: Wir hatten in den letzten beiden Tagen schlicht verpeilt, unsere Uhren umzustellen. Eine Stunde Zeitverschiebung von D nach Helsinki, bei der Einreise nach Russland nochmal eine Stunde weiter. Nun war die „frühe Schließung“ der U-Bahn um 23.00 Uhr am Vorabend nicht mehr so verunderlich und auch die berühmten „Weißen Nächte“ in Sankt Petersburg (die zwar offiziell nur bis Anfang Juli gehen), die wir nicht sonderlich hell fanden :-), standen auf einmal besser da. So kann es gehen im Urlaub. ;-)
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