Motorrad-Tour durch Russisch-Karelien über Murmansk zum Nordkapp Juli/August 2013
„Karelien, wo ist DAS denn?“ So lautete die häufigste Frage, wenn ich von meinem neuen Reiseplan erzählte. Kaum jemand konnte etwas mit dieser Gegend etwas anfangen, obwohl sie gar nicht so weit entfernt von Deutschland liegt und riesengroß ist. Ich hatte mich mit Karelien bis Ende 2011 auch nicht wirklich befaßt, aber das war mein neues Traumreiseziel! Und das kam so:
I. Die Idee
Nachdem ich 2010 den Motorrad-Führerschein und ein paar kleinere Touren ins Berliner Umland, nach Polen und in die Dolomiten gemacht hatte, kam schnell die Idee auf, mit dem Mopped auf große Tour zu gehen. Im Winter 2011/2012 habe ich eine Menge Reiseblogs über lange Motorradtouren gelesen, z.B. die Weltreise von 2 Deutschen auf www.krad-vagabunden.de oder diese Tour durch Sibirien in die Mongolei. Durch die beiden vorangegangenen Trips in Russland war der „Wilde Osten“ für mich sowieso die interessanteste Region, also kristallisierte sich bald die Idee heraus, dort mit dem Motorrad hinzureisen. Sibirien, Mongolei oder die zentralasiatischen Staaten wie Kirgistan, Tadschikistan waren aber zeitlich nicht drin, da hätte allein die Anreise locker 3 Wochen gedauert, Motorradtransport mit Luftfracht hin und zurück wäre nicht finanzierbar gewesen. Der Teil Russlands vor dem Ural erschien mir nicht reizvoll genug, die „Kornkammer Russlands“ mit dem Motorrad zu bereisen, stellte ich mir langweilig vor.
Relativ schnell stieß ich dann beim Stöbern auf Google Earth auf Karelien, gewissermaßen der finnische Teil Russlands, der sich von Sankt Petersburg an der finnischen Grenze entlang nach Norden bis zur Kola Halbinsel mit der Hafenstadt Murmansk erstreckt. Allein die beiden Namen „Karelien“ und „Murmansk“ übten sofort eine magische Anziehungskraft auf mich aus. Ein weiterer Blick auf die Karte zeigte außerdem, daß es ganz im Norden einen Grenzübergang nach Norwegen gibt und das Nordkapp gewissermaßen auch nur „um die Ecke“ liegt, so daß man die Tour zu einer schönen Runde machen könnte.
Es gab aber ein grundlegendes Problem: Da ich absolut kein Mopped-Schrauber bin, wäre ich im Falle einer Panne auf der Strecke ziemlich sicher aufgeschmissen gewesen (und allein zu fahren wäre eh öde). Aber für dieses Problem fand sich ebenso schnell eine Lösung, als ich meinen Freund Götz fragte, ob er Interesse an der Tour hätte. Götz, der in den letzten 30 Jahren schon zig Motorrad-Reisen gemacht hat – stets „mit vollkommen untauglichem Gerät“, wie er immer betont – und sowohl privat als auch beruflich mit Motorradtechnik zu tun hat, war sofort dabei. Also haben wir im Januar 2012 schon den Trip für den Sommer 2013 festgemacht, hatten also ausreichend Zeit für die Planung und Vorbereitung. Klar war schnell, daß wir mit der Fähre von Deutschland nach Helsinki fahren würden, um von dort die ca. 300km nach Sankt Petersburg abzureißen, weil die Strecke durch Polen und das Baltikum doch etwas viel Fahrerei gewesen wäre. Nach 2 oder 3 Tagen im „Venedig des Nordens“ (oder war das Stockholm?) sollte es dann los Richtung Karelien gehen.
II. Kurzer Exkurs: Republik Karelien
Karelien heißt auf Finnisch „Karjala“ und auf Russich „Карелия Karelija“. Die Karelier gehören zur finnisch-ugrischen Volksgruppe und haben im bäuerlichen Umfeld eine vielseitige Kultur entwickelt, die sich deutlich von der in Finnland abhebt. Es umschreibt die historische Region nordöstlich von Sankt Petersburg, die sich heute zum größten Teil auf russisches Gebiet sowie auf den Südsosten Finnlands verteilt. Im Laufe der Jahrhunderte hat die Landeszugehörigkeit immer wieder mal gewechselt, zunächst stritten sich Schweden und Karelier um die Vorherrschaft, später kamen die Russen dazu, letztmalig änderte sich das für den südlichsten Teil (zwischen Ladoga-See und Finnischem Meerbusen) im Jahr 1939/1940 im Russisch-Finnischen Winterkrieg und im Anschluss an den sog. Fortsetzungskrieg 1944, als das unterlegene Finnland einen großen Teil West-Kareliens und der der Region um Vyborg an die Sowjetunion abgetreten werden mußten, wo es zur „Republik Karelien“ wurde. Nach Norden hin dehnt sich Karelien etwa bis zum Polarkreis aus, daran schließt sich der Murmansker Oblast an, nach Nordosten wird die Region vom Weissen Meer und dem Oblast Archangelsk begrenzt. Nähere Infos finden sich hier bei Wikipedia.
Karelien ist, das kann ich vorwegnehmen, so ziemlich die untouristischste Region, die ich je bereist habe. Für die meisten Länder Europas gibt es zig Reiseführer für die einzelnen Regionen, aber es gibt KEINEN einzigen Reiseführer für Karelien!!! Allenfalls taucht die Gegend als Annex mit 10 Seiten in Finnland-Reiseführern auf, selbst in Russland-Guides werden von dem riesigen Gebiet mit nur die absoluten Highlights wie die Holzkirchen von Kishi oder das Solvezki-Archipel abgehandelt. Daher konnte ich zur Planung fast nur auf Google und irgendwelche Reiseberichte im Netz zurückgreifen. Aber das machte die Sache durchaus spannend und ließ eine Menge Raum für Überraschungen.
II. Die Umsetzung: Motorradsuche
Woher wir das Visum und die Fährtickets kriegen würden, war auch klar. Die größte Hürde war die Auswahl und Beschaffung von 2 tauglichen Motorrädern für die Tour. Die Triumph Speed Triple 955i, die ich sonst fahre, kam für die Tour nicht in Frage, da sie zum einen keinerlei Gepäckanbringung außer einer Gepäckrolle über dem Soziussitz erlaubt, zum anderen auch ungeeignet für etwaige Dirt Roads ist. Also haben wir im Frühjahr 2013 nach den „üblichen Verdächtigen“, also Reiseenduros älteren Datums wie etwa Honda Transalp, Yamaha Super Ténéré, Honda Africa Twin, BMW R 1100 GS oder 1150 GS, Kawasaki KLR 600 auf den verschiedenen Internetportalen Ausschau gehalten. Die Maschinen sollten älteren Baujahrs sein, weil wir sie dann noch mit Vergasern und nicht mit Einspritzung bestückt sind und überhaupt weniger Elektronik an Bord ist, die man (also Götz) in der Pampa nicht reparieren kann. Außerdem bestand die vage Möglichkeit, daß wir ein Motorrad irgendwo wegen eines Unfalls oder Defekts zurücklassen mußten, also war übertriebener Kapitaleinsatz nicht angebracht.
Bei den genannten Kandidaten gab es zwar einige Angebote, aber irgendwas hat nie gepaßt. Entweder sprengte das Motorrad unser jeweiliges Budget oder die Motorräder hatten irrwitzig viele Km runter oder sie hatten grobe Unfallschäden oder oder oder. Im Mai, als es konkreter wurde, kam Götz dann auf einmal auf die Idee, nach zwei Kawasaki KLE 500 zu suchen, die mir mit ihrem niedrigen Hubraum von 499ccm wegen meiner Sucheinstellungen bei mobile.de bislang vollkommen entgangen war. Diese sog. „Funduro“ aus den späten 80er/frühen 90ern hat – im Gegensatz zu den meisten anderen Motorrädern dieser Hubraumklasse – um einen Zweizylinder, was weniger ruppige Fahrt versprach als ein Eintopf, von der Geländetauglichkeit her sollte sie auch passen. Trotz ihres gar nicht mal üblen Designs (mal von der 80er-lastigen Farbkombination abgesehen) und der viel gelobten Handlichkeit und erwiesenen Zuverlässigkeit ist die KLE ein ziemlicher Exot geblieben. Das hatte für uns dann den Vorteil, daß die Dinger wirklich günstig zu kriegen waren. Götz hat von München aus kurzerhand eine 92er KLE mit gerade mal 19.000km auf der Uhr für exakt 1.000 EUR gekauft, zwei Wochen später fand er selbst eine etwas abgerocktere mit 42.000km für lumpige 500 EUR.
Nach der Überführung von München nach Berlin wurden beide Motorräder mit Ölwechsel, neuen Reifen etc. fit für die Reise gemacht, einige Ersatzteile (Kupplungszug, Reifen Repair Kit etc.) besorgt, Koffersystem angebaut (Götz mit 50% Marke Eigenbau), fehlendes Equipment und Klamotten gekauft oder geliehen (Sommerschlafsack, Isomatten, Zelt) und die Visa für Russland besorgt (hier kann ich Visum Point in Berlin sehr empfehlen). Außerdem mußte ich einen Steuerkettenspanner neuerer Bauart für die KLE auftreiben, weil mein Modell noch mit einem ausgestattet war, der gern mal versagt und zerfetzte Ventile kann man auf der Tour schon gar nicht gebrauchen. Aber dank des Internets war der schnell gefunden.
III. Los geht´s!
Am Abend des 14.7.2013 starteten wir in Berlin Richtung Travemünde. Die Fähre sollte um 3.30 Uhr morgens ablegen, wir kamen ca. 0.30 Uhr am wirklich riesigen Fährterminal in Travemünde an, stellten uns mit den Motorrädern am letzten noch offenen Finnlines Check-In an, wo uns der freundliche Herr sagte, daß wir die ALLERletzten Passagiere seien. Und wirklich, direkt nach unserer Durchfahrt wurde der Check-In geschlossen. Unser Parkplatz auf dem Fährdeck war dann auch der letzte freie, was aber bei der Ankunft bedeutete, daß wir die Motorräder einfach umdrehen konnten und nicht wie alle Autos eine Runde durchs Parkdeck fahren mußten. Für mich war Motorradreisen in dieser Dimension ja neu, auch daß man die Motorräder selbst mit Gurten an Haken auf dem Boden sichern muss.
Die Überfahrt von Travemünde nach Helsinki dauert rund 25 Stunden, man fährt früh morgen los, verbringt einen (sonnigen) Tag auf der Ostsee, schläft noch eine Nacht an Bord kommt (inkl. einer Stunde Zeitverschiebung) in Helsinki um ca. 7 Uhr früh an. Eine sehr entspannte Anreise! Wir hatten die Kategorie „Pullmann-Sessel“ gebucht, was sich als Glückgriff herausstellte. Denn weil der große Raum mit den wie im Flugzeug angeordneten Ruhesesseln nur wenig besetzt war, konnten wir jeder eine ganze Sitzreihe in Beschlag nehmen und unsere Luftmatratzen ausrollen. Leider hatten wir keinerlei Proviant für die Überfahrt mehr vor Ort kaufen können, so dass wir auf die teure und sehr mittelmäßige Cafeteria an Bord ausweichen mußten.
In Helsinki fuhren wir kurz in die sehr schöne Innenstadt, um dort in der Sonne in einem Café zu frühstücken und das WiFi auszunutzen und noch kurz im Iitala Design Shop vorbeizuschauen. Gegen 10.00 Uhr brachen wir dann in Richtung russische Grenze auf, bis Sankt Petersburg waren es rund 380km.
HIER geht´s weiter nach Sankt Petersburg